Mit der Zahnradbahn ging es nun eine halbe Stunde steil hinauf. Lange hatten wir diesen Ausflug geplant. Ich habe mir viele Gedanken gemacht. Wie würde ich mich in fast 3000 Meter Höhe fühlen, auf der Zugspitze, mit meiner Höhenangst? Gott gab mir auf meine kleine herausfordernde Reise folgenden Vers mit:
Die vollkommene Liebe vertreibt die Angst. (Nach 1. Johannes 4,18)
Zunächst dachte ich, dass dieser Vers doch in einem ganz anderen Zusammenhang steht. Denn es geht um den Tag des Gerichts, vor dem wir als Kinder Gottes keine Angst haben müssen. Wie betraf der Vers meine Höhenangst? Ich entschied mich, es mal auszuprobieren. Meine Gedanken fingen an, mit dem Vers zu arbeiten. Ich wollte die Aussicht "lieben", anstatt Angst vor ihr zu haben. Meine Gedanken fingen an, sich zu verändern und ich spürte, wie sich meine Höhenangst minimierte. Hinzu kam aber auch noch ein anderer Aspekt, es war schlicht und einfach zu „wolkig“, als, dass wir hätten alles sehen können. Je nach Bewegungen der Wolken, denn wir waren mittendrin, konnten wir nur ansatzweise etwas die Aussicht genießen. Es ging natürlich noch höher, zu Fuß, das lehnte ich aber kategorisch ab und überließ dies Menschen, die für ein Selfie mit dem Gipfelkreuz ALLES tun würden.
Im Übrigen hielt ich, was den Blick in den Abgrund betraf, Abstand vom Geländer. Dennoch war genug Platz, um sich auf dem Gelände frei zu bewegen und wir waren eine ganze Zeit lang dort. Letztendlich war es ein gelungener Ausflug, der auf jeden Fall nach einer Wiederholung verlangt.
Wieder in unserer Unterkunft angekommen, dachte ich noch über einige Eindrücke nach. Unvergesslich war der intensiv verführerischen Duft, der aus dem Zugspitzen-Restaurant kam und mir die ganze Zeit in der Nase lag. Oder die Japaner, die sich, leicht bekleidet in offenen Schuhen bei 1 Grad, für einen eher kürzeren Besuch auf der Zugspitze entschlossen hatten. Aber, da war noch eine ganz andere Begegnung. Und zwar die, mit dem Kreuz. Nein, ich meine nicht das von Wolkennebel umschlossene Gipfelkreuz. Dieses andere Kreuz war auf einem lebensgroßen Stab befestigt und direkt unter dem Kreuz ein kleiner Totenkopf. Zum ersten Mal bin ich diesem Kreuz im Wartebereich zur Weiterfahrt mit der Gondel begegnet. Ein Mann mit Hut wollte mit diesem großen Stab durchs Drehkreuz. Da der Stab aber größer als die Decke war, versuchte er es vergeblich. Er hievte also diesen Stab über die Absperrung und schaute mit einem Hilfe suchenden Blick in die Runde. Jemand müsste ihm diesen Stab abnehmen, damit er das Drehkreuz passieren konnte. Obwohl ich die nächstgelegene Person war und ich ihm hätte zur Hilfe eilen können, bot sich schnell eine andere Person an. Ich war so irritiert, dass keinerlei Befehle an meinen Körper ergingen, mich zu bewegen und zu helfen. Ich dachte über den Totenkopf nach und was der Mann mit diesem Kreuz auf der Zugspitze vorhatte. Ein zweites Mal begegneten wir uns in der Gondel. Auch andere Personen fielen mir ins Auge, sie trugen eine Kameraausrüstung. Vielleicht drehten sie einen Film? Meine achtjährige Tochter fragte mich: „Mama, was bedeutet der Totenkopf!“ Ich antwortete ihr: „Ich weiß es nicht so genau, also, Jesus hat ja den Tod besiegt, vielleicht hat es damit etwas zu tun?“
Es gab tatsächlich einen Zeitungsartikel über dieses Kreuz und ein Zusammenhang mit dem Kamerateam erschloss sich mir auch. An diesem besagten Tag gab es einen Trauergottesdienst auf der Zugspitze. Sowohl veranstaltet von der katholischen, als auch der evangelischen Kirche. Er fand in der Kirche auf dem Gletscher statt, in dessen Gästebuch auch ich mich verewigt hatte. Allerdings war zum Zeitpunkt meines Besuches der Kirche der Gottesdienst bereits vorbei.
Ein Trauergottesdienst für den schmelzenden Gletscher in Deutschlands höchstgelegener Kirche „Kapelle Mariä Heimsuchung“. Ich konnte mir nicht vorstellen, was in diesem Gottesdienst gepredigt wurde. Der Artikel war nur sehr kurz und ich dachte angestrengt über den Inhalt nach. Die Kirche wollte auf den rasant voranschreitenden Klimawandel und auf die Bedeutung des Erhalts der Schöpfung aufmerksam machen.
Ja, der Gletscher schmilzt dahin. Von Pulverschnee hatte dieser Schnee nicht viel, er war eher nass und eisig. Und er war definitiv zu wenig. Auch wenn Kinder noch rodeln konnten. Es war kalt und windig, aber nicht genug für diese Höhe.
Die evangelische Kirche predigte: „Wir fürchten uns davor, dass unsere Lebensgrundlagen wegschmelzen wie dieser Gletscher.“ Es war die Rede von Trauer und Wut. Als Leitwort gab es den Vers:
„Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe?“ (Psalm 121)
Hier würde kein falsches Gottvertrauen helfen nach dem Motto „Der Herrgott wird es schon richten!“. Die Menschen müssten den Klimawandel selbst angehen, hieß es in dem Artikel. Den Klimawandel selbst angehen? Ohne Gott? Sich fürchten, traurig und wütend sein? Der Artikel ist zu kurz, um solche Schlussfolgerungen abzuleiten. Und ich will hier nicht urteilen. Aber im Psalm 121 steht noch mehr:
„Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat! Der Herr wird nicht zulassen, dass du fällst, dein Beschützer schläft nicht. … Der Herr gibt auf dich Acht; er steht dir zur Seite und bietet dir Schutz vor drohenden Gefahren. Tagsüber wird dich die Sonnenglut nicht verbrennen und in der Nacht wird der Mond dir nicht schaden. Der Herr schützt dich vor allem Unheil, er bewahrt dein Leben. Er gibt auf dich Acht, wenn du aus dem Hause gehst und wenn du wieder heimkehrst. Jetzt und für immer steht er dir bei!"
Wer die Offenbarung kennt, weiß, was auf uns zukommt. Vielleicht ist es so, wie bei einer schweren Krankheit, man kann sie nicht aufhalten, nur verlangsamen.
Im Jahr 2030 wird dieser Gletscher nicht mehr den Status als Gletscher haben, weil kein Schnee mehr auf ihm liegen wird. Und mit ihm einige andere. Deshalb war ich froh, ihn jetzt noch besuchen zu dürfen.
Ich weiß, dass ich es in meinen Texten oft erwähne, aber Gott verspricht uns gemäß seinem Wort eine neue Welt ohne Leid und Schmerz und ein ewiges Leben. Und so lange wir hier leben, ist Gott unser Helfer in allen Situationen – wenn wir ihm Vertrauen schenken.
Vertrauen heißt Glaube und Glaube ohne Werke ist tot. Gegen den Klimawandel etwas tun? Auf jeden Fall. Die Aufgabe der Christen ist es jedoch, zuerst am „Menschenwandel“ anzusetzen.
Ich habe mich dazu entschlossen, mich nicht zu fürchten, dass meine Lebensgrundlage nicht wie dieser Gletscher wegschmilzt, denn:
Die vollkommene Liebe vertreibt die Angst. (Nach 1. Johannes 4,18)
Juli 2023